Friday, July 13, 2007

Brief zum Portrait

Jerusalem, 07.07.2007
Guten Morgen, liebe Nini!
Wie ich sehe, hast Du eben die Mailbox geöffnet. Und vielleicht seid Ihr ja noch dabei, das Kamel, das ich Euch heute morgen mitgeschickt habe, zu betrachten. Ob es Paula gefällt, das Kamel?

Israelsonntag
Ich habe gerade die Antwort an Frau K. geschrieben und zugesagt, dass ich am 12. August den Gottesdienst in Blankenfelde übernehmen werde. Am 12. August werden wir, dem Kirchenkalender folgend, den Israelsonntag feiern. Das ist traditionell der Sonntag, an dem die evangelischen Kirchen und Gemeinden über ihre Wurzeln im Judentum oder, anders gesagt, über ihre Beziehungen zum Judentum nachdenken. Eine Zeit lang hieß das, Martin Luther folgend, sich das Beispiel der Bestrafung Israels mit der zweimaligen Zerstörung des Tempels vor Augen zu führen. Im 19. Jahrhundert wurde die Liturgie als Aufruf zur Judenmission genutzt. Und heute gerät der Gottesdienst an diesem Tag dann zu einem Gottesdienst in Solidarität mit dem modernen Israel. So ändern sich die Zeiten! Die Solidarität mit den Juden, die auf eine lange Geschichte von Ab- und Ausgrenzung, Verfolgung und schließlich die Schoa zurückblicken, will ich mitmachen. Aber ich bringe auch die scharfe Kritik am Staat Israel aus meiner Arbeit hier vor Ort mit: an seiner Besatzung Palästinas. Wie soll das, die Solidarität mit den Juden und die Kritik am Staat zusammen gehen in einem Gottesdienst? Warum muss ich hier ständig begründen, dass ich zweimal parteilich bin, sowohl auf der Seite der Juden, die nach ihrer langen Geschichte von Ausgrenzung hier die Chance suchen, ihr eigenes, ein sicheres Land zu finden; als auch auf Seiten der Palästinenser, die tägliche Diskriminierung, Unterdrückung und Demütigung erleiden. Wer bin ich, dass ich mich nicht einfach auf die eine oder die andere Seite stellen kann?

Skizze
Neben mir liegt eine Skizze, mit Kugelschreiber gezeichnet, mit einem Porträt von mir. Die Skizze ist gestern entstanden. Und die Geschichte dazu muss ich erzählen. Gestern war das vorletzte Konzert in einer Reihe, die hier in den letzten Tagen unter dem Titel „Sounding Jerusalem“ veranstaltet worden war. Gestern fand das Konzert im Kloster der Franziskaner statt, beim Neuen Tor, dort wo wir die gute Falaffel gegessen haben. Es war wunderbare Musik, ein Quartett von Mozart, ein Trio von Carl Maria von Weber und das Trio für Violine, Cello und Klavier in Es-Moll von Schostakowitsch.

Gespräch mit Israelis
Nach der Pause war ich mit den beiden Nachbarn, einem älteren Ehepaar, ins Gespräch gekommen. Sie hatten gefragt, wer ich sei, was ich hier mache. Ich habe, während ich die erste Antwort gab, die Skizze auf der Rückseite des Programms gesehen, das der Nachbar in der Hand hielt und höflich gefragt, wen er da gezeichnet habe. Na Sie!, war die Antwort. Ich habe um die Skizze gebeten und sie auch erhalten. Leider war das Gespräch sehr schnell an dem Punkt, wo wir uns nicht klar verständigen konnten, sie, die Israelis aus Tel Aviv – "what occupation?" – und ich, Besucher mit der Aufgabe kritischer Begleitung der Opfer der Besatzung. Das Wort „Frieden“ hat auf beiden Seiten einen schlechten Klang, für Israelis heißt es meist Verzicht auf Sicherheitsmaßnahmen und für Palästinenser Unterwerfung unter die Teilung und Besatzung ihres Landes. Das lässt sich nicht vermitteln.

Schostakowitsch, Trio für Violine, Cello und Klavier
Es war schon nach der Pause und wir mussten das Gespräch unterbrechen. Dann spielten die Musiker das Trio Nr. 2 für Violine, Cello und Klavier. Ein wunderbares Stück, in dem Schostakowitsch den Sieg über die Nazis, aber auch das Leiden der Menschen aufnimmt. Er tut das mit einer jiddischen Melodie im dritten Satz und das ist, wie gesagt, tief bewegend. Wenn Du mir diese Musik besorgen könntest, Nini, bis ich nach Hause komme, würdest Du mich glücklich machen. Es gibt selten so sensible und schmerzhafte Musik. Sie hat mich an Smetana erinnert, an das Quartett, in dem er die Violine seinen Ohrton aufnehmen lässt. Schostakowitsch hat diese Musik 1944 komponiert, für seine Freunde gut erkennbar als Kritik am Stalinismus; aber er hat ironischerweise dafür den Stalinorden umgehängt gekriegt. Die Musik ist also so etwas wie eine Darstellung des Leidens an den Ohren derer vorbei, die für das Leiden mit verantwortlich sind. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass unsere schmerzlich disharmonische Debatte, was Frieden in diesem Land bedeutet, zwischen uns hing, während die Musik von Schostakowitsch den Raum füllen wollte.

Fortsetzung des Gesprächs mit Israelis
Na, und das erste, was die Nachbarin tat, als der Beifall für die Musiker abgeklungen war: Sie wandte sich mir zu und fragte, ob irgendjemand von uns und irgendjemand in der Welt nach dem entführten israelischen „jungen Mann“ fragt – sie sagte nicht „Soldaten“ – , er heißt Gilad Schalit. Aber selbstverständlich, versuchte ich zu sagen... Jedenfalls war sie, auf eine schmerzlich dichte Weise im Sinne von Schostakowitschs Musik, am Thema geblieben, das uns dann aber mehr auseinander trieb, als verband. Wir verabschiedeten uns herzlich und höflich, ich mit der Skizze in der Hand und mit dem Gefühl, dass ich ihnen etwas schulde und nicht wusste, was. Ich vergaß sogar, ihnen „Schabat Schalom!“ zu wünschen, und es war doch Freitag Abend.

Portrait
Erst draußen vor dem Kloster, am Neuen Tor, nahm ich das Programmblatt in die Hand und betrachtete aufmerksam die Rückseite. Die Skizze zeigt mich im Profil, aber ich erkenne meinen Bruder Michael, als würde er neben mir sitzen. Nie hätte ich gedacht, dass unsere Ähnlichkeit, ansonsten doch verloren gegangen, im Profil immer noch vorhanden ist. Was mich am meisten bewegt: Hier hat mich ein Fremder, der mich als Hörer schöner Musik beobachtet hat, gezeichnet. Das ist doch ungewöhnlich, noch nie hat mich jemand gezeichnet. Warum hier, im Konzert im Franziskanerkloster in der Jerusalemer Altstadt?

Über der Klagemauer
Ja, und mit dieser Begegnung habe ich den Abend noch nicht abgeschlossen, sondern habe mit Tina die verabredete Tour durch die Altstadt gemacht, um einige Fotos von Orthodoxen Juden auf dem Weg zur Klagemauer zu machen. Du kennst ja den Weg und hast mit mir an derselben Stelle gestanden: über der Klagemauer. Man steht dort im Jüdischen Viertel über einer kleinen Moschee und einem der letzten Wohnhäuser, die dort von den ursprünglicheren Häusern stehen geblieben waren und die auch noch zum muslimischen Viertel gehören. Tina, die mit mir war, zeigte mir die Terrasse, auf der sie vor 2 Wochen gestanden hatte; das war auf einer Pressekonferenz gegen Hausabrisse gewesen. Die Veranstalter, Israelis gegen die Zerstörung von Häusern, hatten an die Geschichte des Marokkanischen Viertels erinnert, das hier bis 1967 gestanden hatte und am letzten Tag des Sechstagekrieges vollkommen zerstört und abgetragen worden ist. An seiner Stelle wurde dann der Platz vor der Klagemauer geebnet. Die Bewohner, zum Teil Nachkommen von Marokkanern, die hier, wie Armenier, Griechen und spanische Juden in anderen Vierteln gewohnt hatten, mussten in Flüchtlingslager ausweichen. Während der Pressekonferenz hatten Kinder der jüdischen Siedler, die hier in das muslimische Viertel vordringen, Klumpen von nassem Toilettenpapier auf die Presseleute geworfen. Solche Ereignisse sind wie eine Erinnerung daran, dass hier unterschwellig ein Krieg weiter geführt wird. Bei den Orthodoxen Juden heißt das „Wiederherstellung Jerusalems“.

Ende des Tages
Tina und ich waren in dem Augenblick mehr daran interessiert, die Atmosphäre dort unter uns, die nächtliche Szene vor der Klagemauer in Fotos einzufangen, Beten und Tanzen. Und dann sind wir nach Hause auf den Ölberg gegangen, wie so oft buchstäblich mit dem letzten Bus, und haben das Essen, das ich schon vorbereitet hatte, als echtes Nachtmahl gegessen.

So hat mein Abend ausgesehen und vielleicht verstehst Du, warum ich vorhin am Telefon so empfindlich bei der Frage war, warum dieses Jahr noch weniger als letztes Jahr auf meine Berichte reagieren, geschweige denn inhaltlich auf sie eingehen. Das versetzt mich noch mehr in den Abstand, in den diese verrückte heillose Heilige Stadt einen zur scheinbar heilen Welt in Europa stellt. Wer bin ich
Dann habe ich geschlafen und hatte heute früh den Eindruck, als hätte ich die ganze Nacht nur geträumt, von Israelis, denen ich Antworten schulde und von Leuten, die in unser Programm eingeführte werden wollen und von Wegen, die ich suche und verliere und weiter suche. Es war wie eine Tour durch eine Stadtlandschaft mit der Frage „wer bin ich“. Einmal war ich sogar mit Roller Skates unterwegs, brach das aber ab, um mein Fahrrad zu holen, denn die Strecke ging bergauf und ich fand, da war ich mit den Roller Skates zu langsam und bergab, fand ich, sollte ich mich bei der wichtigen Mission, die ich hatte, als Anfänger nicht wagen. Ich hätte ja nicht mal gewusst, wie ich bremsen kann… Warum Roller Skates im Traum, wo ich noch nie so was an meinen Füßen hatte? Wir hatten auf dem Heimweg zwischen Klagemauer und Damaskustor in der engen, schon verlassenen und noch nicht aufgeräumten und gereinigten Gasse einen Jungen gesehen, der uns leichtfüßig auf Roller Skates entgegenkam und hinter uns wie ein Geist verschwand, so schnell war er. Und dann tauchte er erst in meinem Traum wieder auf.

Und ein neuer Tag: Demonstration für Beduinen
Okay, das war die Nacht. Und jetzt fange ich den Tag an. Tlago und Dudu haben einen freien Tag. Mit Tina fahre ich nach Susya, dort ist eine Demonstrations-Tour angesagt, von drei Israelischen Organisationen veranstaltet. Wir wollen dabei unsere Solidarität mit den Beduinen von Susya, südlich von Hebron zeigen. Die Beduinenfamilien sollen ihre Zelte auf ihrem eigenen Land, die den israelischen Behörden gemäß nicht genehmigt sind, abbrechen, während ganz in der Nähe die jüdischen Siedler auf Land, das ihnen nicht gehört, wohnen bleiben dürfen. Das ist nach internationalem und israelischem Recht illegal. Den Beduinen hilft das aber gar nichts. Die Armee, die dort vor Ort das Sagen hat, beschützt die Siedler, nicht die Beduinen. Wir waren vor einigen Wochen im Supreme Court dabei gewesen, als das vorläufige Urteil mehr gegen, als für die Beduinen gesprochen worden war. Und darum wollen wir auch heute dabei sein, wenn unsere israelischen Partner diese Tour machen. Für mich ist diese Tour schon ein Teil dieser letzten Wochen bzw. Tage, in denen wir noch einmal aufnehmen, was wir gesehen und getan hatten und dabei auch die Entwicklung wahrnehmen, die wir begleitet haben. Sicher ist, heute wird es heiß und die Landschaft dort ist schon auf halbem Weg in die Negev-Wüste. Ich erzähle Euch deshalb davon, weil Tobias bei den Beduinen war und von ihrer Kultur so begeistert erzählt hat. Es wäre wirklich schön, wenn die beiden an einem solchen Tag mit mir wären, so wie sie bei der letzten Demonstration in Tel Aviv dabei waren.

Grüße
Jetzt wünsche ich Euch einen schönen Tag, auch bei Euch wird schon die Abschiedsstimmung mitschwingen, wir ich annehme. Tobias und Yaara werden die letzten Tage genießen, bevor sie wieder nach Hause fliegen, nach Tel Aviv. Hier wartet Pnina schon auf sie. Und ich will sie ja auch gleich besuchen.
Sicher erlebt Ihr in Blankenfelde und Berlin die gemeinsamen Tage ähnlich intensiv, wie ich hier meine Tage in Jerusalem. Lasst es Euch gut gehen und genießt die Zeit miteinander, ich wäre gern bei Euch oder hätte Euch gerne hier. Und das ist jetzt jedenfalls kein Brief für Paula, sondern für Euch drei Große, auch wenn ich fürchte, dass Tobias und Yaara bei meinen Beschreibungen des Gesprächs im Konzert, dem Besuch im ehemaligen Maghrebinischen Viertel und der Demonstration in Susya anders empfinden, als ich und vielleicht schon bei meiner Wortwahl stöhnen. Vielleicht ist es diesmal ein Brief in Moll, und ein anderer in Dur muss folgen.
Alles Gute,
Dein Gottfried

1 comment:

Anonymous said...

Notwendigkeit zu uberprufen:)