Friday, May 30, 2008

Geschichten über Kinder

Schwarze T-Shirts
Jeden Freitag finden Demonstrationen in den Dörfern um Bethlehem statt. Freitag ist Feiertag. Die Muslime haben am Mittag ihr großes Gebet, die Moscheen sind dann voll. Und die Juden beginnen mit der Dämmerung den Sabbat, in den jüdischen Städten und Jerusalemer Wohnvierteln sind dann die Straßen voll, die frommen Juden, und es gibt viel von ihnen, gehen in die Synagogen. Freitag, Feiertag, arbeitsfrei, Zeit zum Demonstrieren.

Wir sind in Umm Salomone, einem Dorf südlich von Bethlehem. Die Szene ist eingeübt. Soldaten sperren den Ausgang des Dorfes auf die Landstraße ab. Stacheldraht ist quer über die Straße gelegt. Dahinter stehen sie, in ihren Furcht erregenden Kampfanzügen, schwer bewaffnet, breitbeinig in zwei Reihen. Vor dem Stacheldraht viele Kinder, einige Männer, die nachher reden werden. Zwei Fernsehkameras, Reporter, die manchmal plötzlich auf der Seite der Soldaten stehen und ihre Fotos von den Demonstranten schießen werden, von den Soldaten gelitten, weil der Sinn dieses Spiels hier genau der ist: Schrecken zu verbreiten und zu zeigen, wie unerbittlich und unbezwingbar die Soldaten mit Demonstranten fertig werden.

Plötzlich sehen wir Gerangel. Die Kinder haben angefangen, den Stacheldraht, der richtig böse, nicht mit harmlosen Stacheln, sondern mit unzähligen kleinen Klingen besetzt ist, zu sich herüber zu ziehen, zur Dorfseite hin, damit er irgendwann nicht mehr sperrt. Die Soldaten fassen sofort zu und nun ziehen sie von beiden Seiten, die kleinen und die großen Jungs. „Ein Männerspiel!“, sagt Anna, meine schwedische Kollegin. Sie sagt es verächtlich. Irgendwann sind die großen Jungs abgelenkt und merken nicht, dass die kleinen Jungs listig an einer Stelle nachgegeben haben, ein Soldat fällt um, das Gewehr klackert auf der Straße, Unsicherheit bei den großen Jungs, ihre Spielfreude lässt für einen Augenblick nach und die kleinen Jungs ziehen den Stacheldraht schnell auf die andere Straßenseite. Jetzt ist kein Stacheldraht mehr da und die Soldaten werden echt böse, rufen Befehle, ziehen sich einige Meter zurück, bilden eine feste Reihe, breitbeinig, ihre Gewehre im Anschlag. Die kleinen Jungs laufen mit dem Stacheldraht in Richtung Dorf, wie eine lange Schlange ziehen sie ihn hinter sich her, sie lachen. Ich will den weiteren Fortgang nicht berichten. Auch die Reden nicht, die an uns wenige Zuschauer gerichtet sind, auf Englisch und für meinen Geschmack etwas zu pathetisch...
Was hat es mit den schwarzen T-Shirts auf sich? Schwarz steht für die Trauer über die andauernde Naqba, die Katastrophe von Flucht und Vertreibung. Die Zahl 194, mit weißen Buchstaben dargestellt, steht für die UN-Resolution vom Dezember 1948. In ihr ist das Recht der Palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr in ihre Dörfer festgelegt. Die Zahl 8, in roter Farbe, macht daraus die Jahreszahl 1948, das Jahr der Katastrophe, in der eine halbe Million Palästinenser vertrieben – und danach nie wieder zurück gelassen worden war. 60 Jahre Naqba, 60 Jahre Missachtung der UN-Resolution. Und mit der Errichtung der Sperranlage, die hier weiter gebaut werden soll, werden neue Familien ihres Landes beraubt oder heimatlosl.

Aber warum tragen die kleinen Kinder schwarz, Jungs, die gerade erst in die Schule gekommen sind? Warum werden sie hier gegen die Soldaten aufgestellt? War das denn ihre eigene Idee? An einer Stelle des Demonstrations-Theaters, das hier gespielt wurde, haben einige Jungs plötzlich zwei Finger in V-Form nach oben gereckt, dicht vor die Gesichter der Soldaten, die darauf zum Teil wütend reagiert und nach den kleinen Fingern geschlagen haben, wie man nach einer Fliege schlägt. Ich denke, hier ist das gute Anliegen des Dorfes Umm Salomone, das durch eine Mauer von seinen Feldern und von der Landstraße abgetrennt werden soll, eine Mauer, die die illegalen Siedler der grünen Städte schützen soll, die Israel hier wie eine Perlenkette so anlegt, dass ein weiter Teil Palästinas praktisch an Israel angeschlossen wird – hier ist das gute Anliegen durch die verspielte Art des Protestes verwässert. Und die Kinder werden dafür missbraucht, die kleinen Jungs. Die großen sowieso: Wie dumm müssen die sich vorkommen in diesem unwürdigen Spiel!

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