Sunday, August 17, 2008

Der Maler in Yanoun

Bevor wir ihn sehen, hören wir ihn: den Hahn. Es ist ein schöner Hahn, mit prächtigem Gefieder und hohem Kamm. Er treibt seine Hennen von den Fremden, die er in seinem Revier sieht, weg.

Der Bauer
Najeh, den wir seiner Bilder wegen besuchen wollen, ist nicht zuhause. Er arbeitet in seinem Olivenhain, er erntet Mandeln. Und er ist allein. Ich mache mich auf den Weg und nach 15 Minuten habe ich ihn am Hang östlich vom Dorf gefunden. Wir begrüßen uns und ich helfe ihm beim Einsammeln der Mandelfrüchte. Er will nicht, dass ich arbeite. Setz Dich, mein Lieber, sagt er, setz Dich dort in den Schatten. Aber ich will ihm doch helfen. Najeh ist allein. Seine Frau stammt aus dem Nachbardorf Beit Furik. Dort ist sie jetzt mit den Kindern und verbringt die Ferien bei ihrer Familie. Najeh versorgt seinen alten Vater und das Haus hier in Yanoun. Und er erntet die Mandeln. Er hat viele Bäume und er muss länger als die Nachbarn arbeiten, weil er allein ist. Wir schaffen drei Bäume an diesem Vormittag. Und weil die Mandelfrüchte reif sind, fallen die Nüsse aus dem Fruchtfleisch und wir haben fast nur die Nüsse, keine Früchte im großen Sack. Najeh schultert den vollen Sack und trägt ihn den Hang hinunter und hinüber zu seinem Haus. Das Werkzeug, eine lange Stange zum Schlagen und Schütteln der Zweige, die Säge und den Eimer lässt er unter einem der Bäume für den nächsten Tag liegen.
Leben unter den Siedlern
Zuhause bietet er mir Tee an. Dann entschuldigt er sich. Es ist Mittagszeit und er muss sein Gebet verrichten. Dann muss er den Vater, Abu Najah, versorgen. Der ruft ungeduldig. Der Vater ist an die 90 Jahre alt, blind und trägt einen Katheder. In den gewalttätigen Jahren, als die Siedler sich oben auf den Bergkuppen niedergelassen, das Land geraubt und die Dörfler regelmäßig überfallen haben, ist Abu Najeh zusammengeschlagen worden und hat sein Augenlicht verloren. Jetzt ist er auch verwirrt. Najeh geht sehr behutsam und geduldig mit ihm um. Normalerweise ist es jetzt ruhig in diesem Haus, weil die junge Familie die Ferien doch drüben in Beit Furik verbringt. Und heute muss Najeh seinem Vater erklären, dass die „Ausländischen“ zu Besuch seien. Audrey, meine englische Kollegin, ist jetzt dazu gekommen. Auch sie interessiert sich für die Bilder. Najeh ist nämlich ein Maler, aber dazu komme ich noch.
Najeh hat spät geheiratet. Er hat als junger Mann in Oman für eine Schifffahrtsgesellschaft gearbeitet. Er ist nach Hause gekommen, als seine Eltern ihn gebraucht haben. Er hat geheiratet. Seine Frau Huda – jetzt Umm Ahmed, weil der erstgeborene Sohn Ahmed heißt – stammt aus dem Nachbarort. Najeh musste nur den Hügel, auf dem die Oliven- und Mandelbäume seiner Familie stehen, hinauf gehen, dann den felsigen Hang, den die Schafe beweiden, und auf der anderen Seite den Hang wieder hinunter. Dort liegt Beit Furik, eine kleine Stadt. Es war ein Weg von 25 Minuten, ich war ja ein Stück jünger, lacht er. Aber diesen Weg kann er nicht mehr gehen. Oben ist jetzt einer der Siedler-Vorposten, mit Stallungen für die Hühner. Der jüdische Siedler betreibt dort oben eine große organische Hühnerfarm und beliefert halb Israel mit Eiern. Und jedenfalls ist das besetzte Land nicht zugänglich für die Bauern, denen das Land doch gehört. Jetzt ist der Weg nach Beit Furik teuer und dauert etwa eine Stunde mit dem Auto. Aber Najeh wird gar nicht durch den Kontrollpunkt gelassen, mit dem die israelische Armee dort das Städtchen und zwei kleinere Dörfer abgeriegelt und gesperrt hat. Nur die Bewohner dürfen rein und raus. Auch sie sind, wie die Bauern hier in Yanoun, von Siedlungen umgeben, müssen deren Straßen meiden und auf ihr angestammtes Land und Quellwasser verzichten. Das ist unser Leben, schließt Najeh seine Darstellung. Und so verbringt seine Familie die Ferien jenseits des Hügels bei der Großfamilie seiner Frau.
Der Gastgeber
Er könnte so leicht auf die Hügelkuppe laufen und von dort aus rufen oder winken. Aber dieser Versuch wäre ein Abenteuer, das schmerzlich oder tödlich für ihn ausgehen könnte. Najeh hat die Zeit, in der die Siedler auf die Bauern geschossen haben, die ihre Oliven und Mandeln ernten wollten, und die ins Dorf runter kamen und im Brunnen gebadet haben, nicht vergessen.
Wir sitzen mit Najeh und trinken Tee. Trink Tee, mein Lieber, nimm viel Zucker, sagt er zu mir, weil ich ihm doch bei der Ernte geholfen habe. Aber wir interessieren uns für seine Bilder. Najeh ist ein Maler. Wenn er sich von seiner Arbeit oder von dem Druck, der über dem Dorf liegt, erholen will, malt er. Es sind sehr farbintensive Bilder, vielleicht naiv, aber sehr ausdrucksstark. Mir gefallen die Bilder, die er von den Granatäpfeln gemalt hat.

Der Maler
Im Garten hat er einige Granatapfelbäume. Unter dem kleinsten steht ein gelb blaues Gefährt, das die Kinder zurück gelassen haben. Ein anderer Baum wirkt wie ein Wettstreit zwischen Rot und Grün. Daneben explodieren gelbe Früchte am mattgrünen Kaktusstrauch. Najeh liebt seinen Garten. Auf einem der Bilder hat er die Grantäpfel mit der palästinensischen Flagge kombiniert. Und das dynamische rote Dreieck der Flagge hat er als Herz dargestellt. Die roten Tropfen auf der Hand können als Fruchtsaft oder als Herzblut gedeutet werden. Ist es nicht ein schmerzhaftes Bild? Ja, sagt er, der Schmerz ist immer da. Mehr erklärt er nicht und das hätte ich von einem Künstler auch nicht anders erwartet. Er ist ein stiller, nachdenklicher Mann. Er sagt nicht alles, was er denkt. Und er weiß mehr, als er denken kann. Vielleicht malt der deshalb. Wir kaufen einige Bilder von ihm und verabschieden uns für heute.









Lachen
Draußen setzt sich der schöne Hahn noch einmal in Szene. Najeh, wieder ganz der Bauer, erklärt uns das aufgeregte Verhalten des Hahns, der eine unvorsichtige Henne vor uns vertreibt. Er ist ein guter Hahn, lacht er, er beschützt seine Frauen, aber seinen Hof kann er nicht verteidigen. Wir lachen auch. Und in dem Lachen ist wieder mehr, als wir denken können. Andererseits: Lachen ist doch eine schöne Abschiedsgeste.

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