Thursday, August 28, 2008

Frieden für Yanoun

Das Fenster
Das Fenster ist weit offen, es ist Sommer. Hinter mir sind die Schüler laut und ausgelassen. Es ist der letzte Ferientag, aber aus Jerusalem ist eine Gruppe mit Musikinstrumenten, Spielzeug und guter Laune gekommen. Sie spielen mit den Kindern und die spielen begeistert mit.
Das Fenster ist weit offen. Wir sind in der Schule. Am gegenüberlegenden Hang sind keine Schafherden zu sehen, wie früher an Sommertagen. Überhaupt ist niemand dort auf diesem Hang, jetzt nicht und auch nicht zu anderen Zeiten. Es ist die Sicherheitszone einer nicht erklärten Grenze. Oben auf dem Kamm des Hügels stehen einige Häuser und Scheunen. Dort gibt es eine große Hühnerfarm, vielleicht auch andere Landwirtschaft. Aber das weiß hier im Dorf keiner. Niemand war jemals dort oben. Es ist zwar alles Land der Bauern hier unten im Dorf, aber sie dürfen dieses Land nicht mehr betreten. Oben sind die „Mustauteneen“, ein Wort, das Angst und Schrecken auf den Gesichtern der Kinder auslöst. Jüdische Siedler, die sich dieses Land genommen haben; die dazu kein Recht haben; die aber von der Armee geschützt werden. Und darauf haben sie ein Recht. Die palästinensischen Bauern haben kein Recht, zumindest keines, das sich praktisch durchsetzen ließe. Sie haben ihr Land verloren. Sie haben ihre Viehherden zu großen Teilen verloren, weil sie keine Weideflächen mehr haben und auch die Äcker zum Jordantal hin nicht mehr, auf denen sie das Winterfutter für Rinder und Schafe und Pferde angebaut hatten. Sie haben ihre Bewegungsfreiheit verloren und müssen weite Umwege fahren, wo sie früher über die Hügel gelaufen sind. Und sie sollen vertrieben werden.

Das Fenster ist weit offen. Leer liegt der Hang in der Sommerhitze. Und es gab Tage und Wochen, in denen auch das Schulgebäude leer war. Die Fenster hatten die Bauern, als sie ihr Dorf verlassen mussten, offen gelassen. Das war im Oktober 2002. Der Lehrer hatte seine Kinder verabschiedet. Die Familien waren geflohen. Der Druck durch die jüdischen Siedler war unerträglich geworden. Tag und Nacht waren die Siedler in das Dorf gekommen, maskiert, mit Hunden, manchmal auf Pferden. Sie hatten die Wassertanks der Bauern umgestürzt. Sie hatten den Generator zerstört. Sie hatten im Brunnenschacht ihre Hunde gebadet. Sie waren mit Feuerwaffen gekommen und hatten geschossen. Es hatte einen Toten gegeben, Hani Ben Maniyeh, 24 Jahre alt. Eines Tages hatten die Siedler klar gemacht: “Wir wollen euch am nächsten Sabbat hier nicht mehr sehen. Verlasst das Dorf, geht nach Aqraba“. Und zum ersten Mal nach 1947 und 1967 hatte die Siedlungspolitik Israels ihr Gesicht gezeigt und ein palästinensisches Dorf komplett geräumt.
(Nachzulesen bei: Living with Settlers, Interviews with Yanoun Villagers, von Thomas Mandal)

Das Schulgebäude war leer. Das Dorf war leer. Die Fenster standen weit offen, damit das Glas nicht von Steinen zerschmettert würde – falls eine Chance bestehen würde, eines Tages zurück zu kommen…

Das Dorf will leben
Heute sind fast 6 Jahre vergangen. Die Dorfbewohner sind zurückgekommen, weil engagierte Israelis sich für sie eingesetzt und die Geschichte in Zeitungen bekannt gemacht und vor den Behörden verhandelt haben. Weil Freiwillige aus Europa und Nordamerika mit ihnen zurückgekommen sind und seitdem Tag und Nacht im Dorf anwesend sind. Seit 4 Jahren sind das die Freiwilligen vom Ökumenischen Friedensprogramm.

Heute sind wir dabei, während die Kinder spielen: hingebungsvoll oder scheu, die jüngsten auf dem Schoß ihrer Väter, die älteren cool und distanziert. Alle machen mit, die Kinder aus Yanoun, die Helfer aus Jerusalem, die Giraffe an der Wand, die unbeirrt Frieden über Yanoun wünscht.

Alle Kinder kennen uns. Die Zeiten, wo die Kinder ins Haus gerannt sind, wenn sie Fremde im Dorf gesehen haben, sind vorbei. Jetzt wissen sie, wie die Siedler und wie die Freiwilligen aussehen. Sie grüßen uns freundlich, melden uns bei ihren Eltern an, damit wir auf einen Kaffee dableiben. Oder geben dem Esel, auf dem sie reiten, einen extra Schlag, damit er dieses kokette Trippeln beginnt. Ein freches Kerlchen ist immer dabei: Hier in Yanoun ruft er den Freiwilligen, wenn sie durchs Dorf gehen, zu:
„Mustauteneen!“. Beim ersten Mal hatte er Erfolg: Die Freiwilligen haben sofort ihre Handys genommen, hektisch gewählt und ans Ohr gehalten, haben sich umgedreht, um zu sehen, von wo die Gefahr kam und besorgte Gesichter gemacht. Aber jetzt lachen wir nur noch und freuen uns, dass man über „Mustauteneen“, jüdische Siedler, auch lachen kann.

Die Giraffe
Die Truppe um Ghassan, die aus Jerusalem gekommen ist, lässt die Kinder tanzen, singen und Spiele machen, bei denen die Schnellen oder die Schlauen gewinnen. Aber sie geben auch den Langsamen eine Chance. Die Gesichter der Kinder zeigen alle Gaben, die Menschen brauchen, um die Welt zur Heimat von Liebe und Schönheit und Recht und Vertrauen in den Nachbarn zu machen. Im Hintergrund ist die Wand bemalt, zum Beispiel mit einer Giraffe (von einem Berliner Graffitikünstler), die in einer Sprechblase Frieden für Yanoun ansagt.

Einige Väter sitzen dabei und sind stolz, wenn ihre Kinder einen Punkt machen. Aber die Väter machen auch Tee für die Erwachsenen und haben überhaupt das Ganze organisiert. Die Mütter kochen – das erfahren wir erst später, als die Kinder uns Msakhkhan, Hühnchen auf Brot, mit Olivenöl getränkt, bringen. Es ist ein Tag, der mehr wie die vielen Alltage, die aus Arbeit, Furcht und langsam wachsendem Vertrauen besteht, fröhlich ist. Das Dorf feiert seine Kinder. Am Abend spielen die großen Jungs Fußball, vor der Kulisse des Dorfes, der verbotenen Hänge und der Stallungen der jüdischen Siedler.

Vielleicht ist das Offene Fenster ein gutes Symbol: dass die Schule offen ist für eine Zukunft und für eine Hoffnung, dass diese Kinder ein Leben ohne Besetzung und ohne Siedlerkrieg vor sich haben.

Fotos:
Spieletag in der Schule
Offnes Fenster mit Blick auf den Hang und die Siedler
Zuschauer
Die Giraffe grüßt
Vater und Tochter

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