Tuesday, August 12, 2008

Tagebuch Yanoun

26. Juli 08, Samstag bzw. Sabbat
Reisen in den besetzten Palästinensergebieten
Jerusalem. Abfahrt vom Jaffator 10.45. Wir sind vier, die als erste in Yanoun Dienst machen sollen: Collin war vorher in Jayyous, Paula war in Tulkarem, Linda in Hebron und ich in Bethlehem. Wir haben alle unser Gepäck reduziert und die großen Koffer im Auguste-Viktoria-Gästehaus auf dem Ölberg gelassen. Mit dem Rest unseres Gepäcks gehen wir vom Hotel zum Jaffa-Tor und verhandeln mit den Taxifahrern dort den Preis zum Jerusalem-Hotel bzw. zur Grünen Busstation. Weil Sabbat ist, verlangen die Taxifahrer mehr als sonst und weil sie zusammenhalten, haben wir schlechte Karten. So fängt die Reise an; dann würden folgen eine Busfahrt nach Ramallah, ein Sammeltaxi zum Huwwara Checkpoint, ein weiteres Sammeltaxi nach Aqraba und ein letztes Taxi nach Yanoun. Das wären knappe 50 km auf direkter Strecke, würde aber gute zwei Stunden brauchen, wenn uns keine Straßensperre mit Kontrolle dazwischen käme. Auf der Rückfahrt von unserem Besuch zur Übergabe der Arbeit in Yanoun hatten wir 5 Stunden gebraucht. Reisen in den besetzten Palästinensergebieten ist eine zeitraubende und teure Angelegenheit. Flying Checkpoint

Bierbrauerei im Nahen Osten
So steigen wir hinter dem Qualandia Checkpoint aus. Dort steht Ghassan aus Aqraba, der uns an Ramallah vorbei die ganze Strecke durch fährt. Er macht für uns einen Abstecher nach Taybeh, wo eine alte christliche Stadt steht, die nicht nur mit ihren vier Kirchen interessant ist, sondern mit einem für Palästina wichtigen Unternehmen, das gegen alle Schwierigkeiten, die Israel gemacht hat, alle Kessel und Geräte importiert und aufgebaut hat: eine Brauerei, die beste im Nahen Osten. Ein christlicher Palästinenser, ein Unternehmer, der was für sein Heimatdorf, das im Gebirge Ephraim liegt und das den jüdischen Siedlern ein Dorn im Auge ist. Eine der Kirchen und die Brauerei haben wir besichtigt und sind weiter nach Yanoun gefahren, eine Kiste Bier neben den anderen Gepäckstücken. Bier werden wir in nächster Zeit nirgends zu kaufen kriegen, es ist „haraam“, ungehörig und verboten in der muslimischen Gesellschaft.

Handys
Unser Nachmittag in der kleinen Wohnung, die in den nächsten Wochen unser Zuhause sein wird, verläuft zunächst ruhig. Wir sortieren unsere mobilen Telefone: Wir sollen unsere alten Handys behalten, weil wir damit auch für unsere bisherigen Partner in Bethlehem, Hebron etc. erreichbar sind. Aber wir sollen auch die Telefone des letzten Teams von Yanoun an uns haben, falls die Dorfbewohner und die Kontaktleute aus den umliegenden Ortschaften uns brauchen. Dazu kommen zwei Handys der palästinensischen Telefongesellschaft, falls wir aus dem israelischen Funkverkehr rausfallen. Und schließlich haben zwei aus unserem Team ihre privaten Handys, macht insgesamt 12. Als sie alle auf dem Tisch liegen und wir noch hektisch am Eintippen und Testen sind, ob in den Handys alle wichtigen Kontaktpersonen gespeichert und für uns erkennbar sind und wir uns auch gegenseitig jederzeit erreichen können, klopft und rüttelt es unten an der Tür: Siedler im Dorf! Also Westen angezogen, in die Sandalen gesprungen, die Handys und Kameras in die Taschen und raus.

Siedler im Dorf!
Am Dorfbrunnen sind zwei junge Burschen, gerade mal 20 Jahre alt, zu Gange. Hier haben andere Siedler vor ihnen schon gebadet und den Brunnen verunreinigt. Diese hier haben einen Hund bei sich und einer hat sein Gewehr immer im Anschlag. Die Dorfbewohner sind ängstlich, immerhin waren sie vor einigen Jahren bereits aus dem Dorf vertrieben worden, sind mit Hilfe internationaler Organisationen zurück gekommen und seitdem von unseren Teams ständig bewacht. Und die Siedler lassen sich immer neue Bosheiten einfallen. Sie sind absolut illegal hier, aber das sieht ihnen der (israelische) Staat nach. Und selbst wenn die Armee kommen und sie aus dem Dorf raus bitten muss, werden sie in der Regel nicht bestraft. Die Burschen heute sind dreist und ängstlich gleichzeitig und das ist genau die gefährliche Mischung, vor der wir immer gewarnt werden. Bevor wir, Colin und ich, beim Brunnen anlangen, sehen sie uns und gehen weiter. Sollen sie also das Dorf verlassen! In der Straße über uns steht Raschid, der Bürgermeister, und gibt uns Anweisungen. Wir sind gehalten, nur das zu tun, wozu er uns auffordert. Bleibt zurück, lasst sie abhauen, ruft er uns zu. Wir beobachten die Jungs, wie sie die Talsohle durchschreiten, aber auf der anderen Seite in das kleine offene Gehöft von Abu Hani gehen, sich dort auf das Mäuerchen setzen und alles ringsum in Augenschein nehmen, vom Boden aufheben, als würden sie morgen kommen und das alles in Besitz nehmen. Und solche Ankündigungen haben sie früher tatsächlich gemacht. Wir gehen schnell rüber zum Hof von Abu Hani und nähern uns den beiden Burschen bis auf 10 Meter. Beide erheben sich, aber anstatt zu gehen, nehmen sie Stellung gegen uns, einer richtet das Gewehr auf uns, der andere schreit „wech! wech!“, was ich mir später als die falsch ausgesprochene Version eines arabischen Wortes für „zurück!“ erklären lasse. Dann beleidigen sie uns und rufen rüber, „Jesus ist schwul“, woraufhin ich mir nicht verkneifen kann, den Kopf zu schütteln und zu erwidern, das sei nicht die richtige Sprache am Sabbat. Wir bleiben stehen und lassen ihnen den Rückzug. Sie tun so, als seien sie ganz cool, aber man kann merken, dass sie sich immer wieder nach uns umdrehen. Ich mache Fotos, in 20 Metern Abstand folgen wir ihnen. Noch einmal wird es kritisch, als sie offensichtlich sauer sind, dass wir sie aus dem Dorf begleiten. Sie stehen vor einer Schar weißer Hühner, richten das Gewehr auf die Hühner und rufen uns zu: Wenn ihr die Hühner lebend sehen wollt, bleibt stehen. Dann sehe ich oben in einem Sattel einen Jeep stehen, etwas blitzt, offensichtlich ein Fernglas, der Jeep bewegt sich, sieht aus wie Armee und ist auch Armee. Kommt langsam einen Feldweg runter, wo sich die Burschen langsam durch die Talsohle auf die andere Hügelseite davon machen, ruhig, denn sie haben nichts zu befürchten. Jetzt sehe ich unten auf der Straße einen zweiten Jeep schnell auf das Dorf zu fahren. Offensichtlich hat Raschid, der Bürgermeister, das palästinensische Verbindungsbüro angerufen, das sich seinerseits an die israelische Armee gewandt hat. Dem Gesetz nach ist die Armee für die Ordnung in diesem Teil des Landes zuständig. Wir sind während der Aktion, die sich zwei Stunden später, wiederholt, indem die Burschen frech und unsicher durch das Dorf im Tal zu ihrem Hügel zurück gehen, per Handy in Verbindung mit den beiden Frauen, Paula und Linda, die bei dem Bürgermeister sitzen und mit Dan, unserem neuen Koordinator in Jerusalem. Geht nicht zu weit aus dem Dorf raus! Geht nicht zu dicht an die Männer ran! Bleibt in Sichtweite und in telefonischem Kontakt! Das sind ihre Anweisungen an uns.
Später sitzen wir bei Raschid und sprechen alles noch mal durch. Es ist unsere erste Lektion in unserer neuen Aufgabe hier im Dorf. Später koche ich eine Gemüsesuppe und decke den Tisch. Wir essen unsere erste Mahlzeit in unserem neuen Zuhause. Dann sitzen und reden lange, Colin aus Schottland, Linda aus Norwegen, Paula aus Schweden und Gottfried aus Deutschland. Der Sternenhimmel scheint wohlwollend durch unsere offenen Fenster. Wann machen wir so was zu Hause, im Dunkeln vor dem Haus sitzen und reden? Das war unser erster Tag in Yanoun.

27. Juli 2008, Sonntag
Checkpoints in den Besetzten Gebieten

Es ist Sonntag Abend. Wir waren an den beiden heiklen Checkpoints, Huwwara und Beit Furik. Huwwara ist einer der Checkpoints, die die Armee rund um Nablus mitten in Palästina errichtet hat. Er gehört mit insgesamt 28 Checkpoints, Straßensperren und Toren zu einem System, mit dem die ganze Stadt Nablus abgeriegelt und aller Verkehr kontrolliert wird. Wir haben auf dem Rückweg 30 Minuten in der Reihe derer gestanden, die die Stadt abends wieder verlassen. Ein junger Mann saß in der Arrestzelle aus Beton, in der die Soldaten Leute bis zu drei Stunden festhalten darf. Wir haben ihm Mut zugesprochen und uns an die Soldaten gewandt. Wir haben auch mit seinem Freund gesprochen: Die beiden gehen täglich hier durch und absolvieren im Nachbarort einen Schwimmkurs. Warum heute? Die Soldaten geben uns keine Auskunft. Aber die Frauen von Machsom Watch kommen und wir übergeben ihnen den Fall.
In Beit Furik hat der Checkpoint die Aufgabe, zwei Ortschaften, eine mit 9.000, die andere mit 3.000 Einwohnern, von ihrem Zugang zu Nablus und anderen Teilen der Westbank abzuschneiden. Hier führt eine Straße, die nur für Siedler bestimmt ist, durch und ringsum auf den Hügeln sind die Außenposten der Siedler auf den Hügeln, die diese Ortschaften, Beit Furik und Beit Dajan, von unserem winzigen Dörflein Yanoun trennen. In die so abgeschnittenen Ortschaften werden nur die Bewohner selber rein gelassen, keine Gäste und Verwandte, auch wenn sie Palästinenser und die eigentlichen Bewohner dieses Landes sind. Unsere Aufgabe ist es, von Zeit zu Zeit bei dem Checkpoint vorbei zu schauen und eventuell den Bürgermeister oder andere Kontaktleute in Beit Furik zu besuchen. Heute bleiben wir jenseits des Kontrollpunktes, setzen uns auf ein paar Autositze und Steine, mit denen ein findiger kleiner Unternehmer einen Laden mit Kaffee und Tee und anderen Getränken aufgemacht hat. Wir schauen zu, wie die Sammeltaxen kommen, die Türen auf gehen und Leute, Männer in Arbeitskleidung und Frauen in Stadtkleidung mit Kindern aus den Fahrzeugen kommen und auf den Kontrollpunkt zu gehen. Wir unterhalten uns mit Taxifahrern. Zwei werden uns besonders vorgestellt, weil der eine zur Hamas, ein anderer zu Fatah hält. Das sei doch schön, dass sie hier gemeinsam Kaffee trinken. Erst abends, als wir die Nachrichten im Radio hören – Internet haben wir hier nicht – wird uns klar, warum die friedliche Nachbarschaft heute Relevanz hat. Jetzt erst verstehen wir, warum Dan aus Jerusalem uns auferlegt hat, alle halbe Stunde anzurufen; damit er uns Bescheid geben kann, wenn in Nablus eine kritische Situation entsteht und wir sofort zurück fahren sollen. Es ging also um den Anschlag im Gazastreifen, bei dem Fatah einen Hamasführer und andere Menschen umgebracht haben und Hamas Vergeltung angedroht haben soll. Wir können uns hier kein genaues Bild machen, sind aber doch froh, dass wir erst abends erfahren haben, dass die Situation angespannt war.

Der Nachmittag
Ich protokolliere nicht den ganzen Tag.
Wir waren im Gottesdienst. Wir waren im Internet Café, wo wir unseren Bericht von gestern an unser Büro in Jerusalem gemailt haben. Und im Yasmeen Hotel, wo wir gut gegessen haben. Insgesamt haben wir 7 Taxen benutzt und viel Geld dafür bezahlt und waren 9 Stunden unterwegs? Wie viel einfacher wäre der Ausflug gewesen, wenn es diese Situation mit der Besetzung dieses Landes nicht gäbe?
Linda, die zurück geblieben war – wir dürfen nie alle gleichzeitig aus dem Dorf gehen! – hat bei den Nachbarn zur Linken geholfen, frisch geerntete Mandeln zu pellen. Die Kerne müssen jetzt trocknen und werden später geöffnet, damit sie die kostbaren Mandeln freigeben.
Zuhause angekommen, hat Linda, die vor der Tür saß, laut gefragt: Habt ihr Brot gekauft? O, das haben wir vergessen! Macht nichts, wir werden schon nicht verhungern. Im Laufe des Abends klopft es zweimal unten an die Tür, wir stürzen oben, wo wir wohnen, in unsere Westen, auf der Treppe in die Sandalen, nur um vor der Tür einmal die Nachbarin von links und einmal die Kinder von rechts jeweils mit Brot anzutreffen, das sie hochhalten und uns schenken wollen. Ich glaube, die Kinder habe ich erschreckt, weil ich so hektisch aus der Tür gesprungen kam. Aber dann haben sie gelacht, wie sie den Wechsel in meinem Gesichtsausdruck gesehen und mein wahrscheinlich falsch ausgesprochenes Dankeschön gehört haben.

Dann sitzen wir und schreiben Berichte, übertragen Fotos auf den Computer oder nehmen uns ein Stück der etwas verwahrlosten Küche vor, die wir Stück um Stück sauber machen wollen. Linda wird später kochen. Es ist ein friedlicher Abend, Esel schreien, Schafe blöken, Kinder rufen und einmal ist ein Auto zu hören.
Das war der zweite Tag in Yanoun.


Mit dem Fahrrad in die nächste Stadt
28. Juli 2008, Montag
Colin und Paula bleiben in Yanoun zurück. Sie machen Besuche bei den Nachbarn.
Linda und ich fahren mit Ghassan, unserem Taxifahrer, nach Burin. Wir hatten noch in Jerusalem gehört, dass die Siedler neue Angriffe auf Burin gemacht hatten. Da ich bei der Übergabe vor einer Woche auch in diesem Dorf war, war es jetzt meine Entscheidung, möglichst bald dort aufzutauchen und mit der Familie zu reden, die wir letztens besucht hatten.

Eine Familie in Burin
Die Familie von Ahmad Souha lebt in einem Haus abseits des Dorfes, am Hang, der das Dorf nach Süden begrenzt. Über ihnen, auf dem Hügel, befinden sich Außenposten einer größeren Siedlung, auf jeder Höhe stehen einige Container, der ganze Höhenzug ist so von jüdischen Siedlern besetzt und die Hirten und Bauern können ihre Weiden und Ölbäume in den höheren Lagen nicht mehr nutzen, weil die Siedler das als ihre Sicherheitszone beanspruchen. Dieses Haus hier, das einzige jenseits der Straße, die auch nur von Siedlern genutzt wird, ist den Siedlern ein Dorn im Auge, sie wollen die Bauern offensichtlich vertreiben. Der Bauer war als junger Mann von der Israelischen Armee aus dem Negev vertrieben worden, ein Beduine. Er hat hier vom Dorf Land gekauft und sich nieder gelassen. Dann kamen die Siedler. Und nun soll er ein zweites Mal vertrieben werden.

Heute war er unterwegs, nach Beduinenart mit seinen Herden und in einem Zelt auf einer entfernten Weidefläche. Seine drei Söhne begrüßen uns, wir sitzen im Garten. Nach einigen Minuten setzt sich die Mutter zu uns. Sie hat 5 Söhne und 4 Töchter groß gezogen. Zwei der Töchter sind noch im Haus, wir kriegen sie nicht zu sehen, aber sie machen uns erst süßen Tee, dann Kaffee, schließlich kommt eine herrliche aromatische Wassermelone. Einer der Söhne bringt die Tabletts und die Teller. Die Gastgeber sind überaus freundlich und das verwirrt uns umso mehr, als die Nachrichten, die wir von ihnen hören, äußerst beunruhigend sind.
Vor einer Woche hatten sie uns von den Siedlern erzählt, die einen Esel umgebracht, 4 Schafen vergiftet und einen Hirten zusammen geschlagen haben. Die Siedler kommen von dem nächsten Außenposten bis zu diesem Haus herunter, Schusswaffen dürfen sie nicht tragen, das hat ihnen die Polizei wohl ausdrücklich verboten, aber Knüppel sind offensichtlich erlaubt.
Diesmal erzählen die Söhne uns von Angriffen auf das Dorf, das wir unter uns und auf der anderen Talseite liegen sehen. Ein Haus ist heute früh abgebrannt worden und eine Rotte von etwa 30 bis 40 Siedlern war gestern den Hang herunter gekommen. Sie haben zwei Hirten angegriffen und mit Knüppeln geschlagen. Aber (israelische) Polizei ist rechtzeitig gekommen und sie mussten sich zurückziehen. Wir verstehen nicht genau, ob das eine gestern und das andere heute passiert ist oder beides gestern je morgens und nachmittags. Später wird Ghassan für uns kleine Interviews übersetzen. Die Familienmitglieder hier sind viel mehr von der Dichte der Angriffe bewegt, als davon, wie alles im Detail abgelaufen ist. Sie wollen von uns eine Kamera kriegen, um die Siedler, wenn sie wieder kommen, damit zu beeindrucken. Wir rufen unser Büro in Jerusalem an, die uns aber an die Israelisch-Palästinensische Menschenrechtsorganisation Betselem verweist. Betselem hat ein Programm, „Zurück Schießen“ genannt, mit dem bedrohte Dorfbewohner mit Kameras ausgerüstet werden; denn wenn sie keine Beweise vorlegen, werden ihre Anzeigen nicht weiter verfolgt. Wir nehmen das Anliegen der Familie auf, Linda telefoniert mit Jerusalem. Währenddessen kriege ich einen Anruf von Abdullah aus Asira, dem nächsten Dorf. Er will uns zu dem betreffenden Haus in Burin bringen.

Das abgebrannte Haus
Zusammen fahren wir dort hin. Das Haus liegt etwas einsam am Dorfausgang. Viele Nachbarn sitzen auf der Terrasse oder stehen vor dem Haus. Der Hausvater sei bei der Polizei, um den Bericht zu unterzeichnen, hieß es. Die Hausfrau ist ins Krankenhaus eingewiesen worden, wegen Gefahr einer Frühgeburt nach dem Schock, sie ist hoch schwanger. Die ganze Familie war nicht anwesend, als der Brand gelegt worden war. Absicht? Eine junge Frau, die Schwester von Abdulla, führt uns durch das Haus. Drei Räume sind ausgebrannt, Schlaf-, Wohnzimmer und Küche. Wir sehen die zerbrochenen Scheiben oder die offen gelassenen kleinen Fensterchen, durch die die Brandbomben geworfen worden sind. Deutlich sind an Decken und Wänden Bündel von verkohlten feinsten Stäbchen zu sehen, offensichtlich das Material, das mit dem Brandstoff zu einer Bombe gebastelt worden war. Am meisten berührt uns das verkohlte Kinderbett. Wenn da ein Kind drin gelegen hätte! Unter der Matratze hatte der Hausvater 10.000 Jordanische Dinar, etwa 9.000 Euro versteckt – die sind jetzt verbrannt. Damit hatte er den Bau eines eigenen Hauses im Dorf bezahlen wollen, das ist jetzt vorbei.
Warum versteckt jemand eine so große Summe Geld unter der Matratze? Weil er hier in den von Israel kontrollierten Gebieten keine Bank findet. Weil Israel nicht bereit ist, für die Sicherung von Banken gerade zu stehen. Und weil der Weg nach Nablus, das von der Autonomiebehörde kontrolliert wird, zu schwierig ist, zu lange dauert. Alle Palästinenser in der Westbank, sofern sie nicht in den A-Gebieten wohnen, machen das so. Es gibt offensichtlich nichts, was in diesem besetzten Land normal läuft!
Den Gang durch das Haus mit den verkohlten Möbeln und dem Brandgeruch breche ich irgendwann ab. Das Kinderbett und die Geschichte von der schwangeren Frau machen mir zu schaffen. Wir machen noch einige Außenaufnahmen, weil unser Jerusalemer Büro, mit dem wir ständig in Verbindung stehen, von uns einen Bericht und Bilder haben will.
Abdullah, den ich letzte Woche bei der Übergabe kennen gelernt hatte, und Ghassan, der uns in diese Dörfer fährt, machen klar, was sie von unserem Programm erwarten: Ein Team von Freiwilligen soll in Burin und Asira wohnen und mit seiner Präsenz einen Schutz darstellen, so wie in Yanoun. Auch das werden wir an unser Büro in Jerusalem weitergeben.
Der Clou dieser Geschichte ist: Vor etwa 10 Tagen hatten wir eine Zeitungsmeldung gelesen, wonach zum ersten Mal ein junger Siedler – Student einer Thoraschule in der Siedlung über Burin – selbst gebastelte Raketen auf palästinensische Ziele abgefeuert hat. Als wir das lasen, wussten wir noch nicht, dass das Dorf Burin heißt, die Siedlungen Bracha und Yitzhar, die in dem Bericht genannt worden waren, über diesem Dorf liegen und wir mit diesen aggressiven Siedlern bald zu tun haben würden.

Was wollen die Siedler?
Erstmal wollen sie die Hänge von Bauern und Hirten frei machen. Dann wollen sie das Tal räumen. Dann wollen sie dieses ganze Land haben, das sie immer noch Samaria nennen und das nie jüdisch war. Sie wollen das Land – aber ohne die Araber, die sie verachten und die sie vertreiben wollen, so wie Abraham in Vorzeiten seine Magd Hagar mit seinem und ihrem Sohn Ismael vertrieben hat.
Über Burin liegt der Berg Garizim, wie er in unserer Bibel heißt. Auf der anderen Seite, unter dem Garizim, liegt das alte Sichem, in römischer Zeit Neapolis, jetzt Nablus genannt. Dort gibt es eine der zwei kleinen Samaritaner-Gemeinden, den Rest eines Völkchens, das vor 2 ½ Tausend Jahren nicht ins Exil nach Mesopotamien geführt worden war und bis heute in Palästina lebt wie die restliche Bevölkerung Palästinas, die hier überlebt haben und deren Existenzrecht erst jetzt von der Rückkehr der Juden in Frage gestellt wird. Der Berg Garizim, von den Juden der nach-exilischen Zeit verachtet, weil die Samaritaner dort ihren Tempel hatten, ist jetzt besetzt und besiedelt – nicht von Samaritanern, sondern von Juden.
Kaum zu erkennen: die Siedlung auf der Bergkuppe

Der Abend
Wir fahren nach Hause, ich setze mich hin und schreibe den Bericht für unser Büro, Linda wählt einige Fotos aus und hängt sie an den Bericht an. Morgen früh müssen wir nach Aqraba laufen und das Ganze aus dem Internet Cafe an unser Büro nach Jerusalem schicken. Ich nehme die Wäsche von der Leine und lege sie zusammen. Colin kocht, Paula sitzt bei den Nachbarinnen, wo sie heute früh Mandelkerne aus der Frucht geschält hat. Die Sonne geht unter. Die Schafe waren unten im Talboden auf den abgeernteten Feldern und sind zurückgekommen. Der Esel ruft über das Tal, die Eselin von der anderen Seite antwortet. Die Abende hier sind besonders schön. Das indirekte Licht taucht alles in kräftige Farben. Wir würden gerne die zweihundert Meter bis zur Höhe laufen und den herrlichen Blick auf das Jordantal und die jordanischen Berge werfen. Aber ein solcher Spaziergang könnte tödlich enden und ist uns strengstens untersagt. Wir denken uns also den schönen Ausblick und begnügen uns mit der friedlichen Abendszene hier in diesem Tal. Hoffentlich bleibt sie friedlich. Das war unser dritter Tag in Yanoun.
29. Juli 08, Dienstag
Heute hatten wir einen ruhigen Tag! Wir hatten Zeit für Frühstück. Zwei Gäste kamen überraschend, von einem Taxifahrer vor unserem Haus abgesetzt, weil der Bürgermeister, mit dem sie verabredet waren, nicht zu Hause war. Nachmittags kamen weitere Gäste, die mit dem Team von Medicines sans Frontieres mitgekommen waren: die neue Psychologin und der Fahrer. Die Ärztin war so lange bei Nachbarn beschäftigt. Offensichtlich ist das Internationale Haus, wie unsere Bleibe hier heißt, bekannt und für Fremde die Anlaufstelle.
Im übrigen haben wir heute insgesamt 5 Familien besucht, einen Obstgarten besichtigt und uns zeigen lassen, wie der Ziegenkäse hier gemacht wird. Abends waren wir zum Abendessen eingeladen.
Linda und ich sind nach Akraba gelaufen. Dort ist die nächste Möglichkeit, das Internet zu benutzen und wir sollten doch unseren Bericht von den Ereignissen in Burin an das Jerusalemer Büro schicken. Es war ein schöner Ausflug, im Internetcafe hat man uns freundlich empfangen („Ihr seid das neue Team?“). Und wir haben natürlich auch die Briefe geöffnet, gelesen und beantwortet, die in unseren Mailboxen lagen, auch die privaten.
Es war bewölkt, nicht zu heiß, abends kam ein frischer Wind auf. Ab und zu konnten wir sehen, wie drüben auf der Straße ein Armeefahrzeug patrouilliert, was uns natürlich sehr beruhigt.
In einem Logbuch würde man schreiben: Keine besonderen Ereignisse.

30, Juli 08, Mittwoch
Auch heute keine besonderen Ereignisse.
6.30 hat mich mein Telefon geweckt. Eine der Frauen von Machsom Watch wollte wissen, wie es auf unsrer Seite aussieht. Sie hat vom Gilo Checkpoint aus angerufen und ich musste ihr erklären, dass ich nicht mehr in Bethlehem bin. Oh, das ist aber schlecht, fand sie.
Sonst war es ein ruhiger Tag.

Nabi Nun
Wir haben einen Ausflug nach Nabi Noun gemacht, einem Hügelchen mit Ausblick auf das Jordantal. Dort steht die Ruine eines Wohnhauses und einer Moschee. Aber es hat Graffiti mit Davidsstern und politischen Losungen in Hebräisch und das deutet auf jüdisches Interesse hin: Es ist die Grabstelle von Nun, dem Vater Josuas. In beiden Traditionen, der in der Hebräischen Bibel und der im Koran, wird Nun genannt, für die Muslime ein Mann Gottes, ein Prophet, für die Juden der Vater des Josua, der das Land erobert hat. Leider endet das erklärte jüdische Interesse an solchen Ortssagen in der Regel mit der Besetzung des Ortes durch Israelis und der Vertreibung der umliegenden palästinensischen Bauern. So rechtfertigen sich auch die ganzen Außenposten der israelischen Siedlung Itamar, die unser Dorf Yanoun umzingeln: Ein frommer Jude aus der Bratslav Chassidim Gemeinde hatte geträumt, Gideon, einer der Richter aus der Vor-Königszeit, liege auf diesen Hügeln hier begraben. Sofort wurde ein Grab ausgemacht und in die Karten eingetragen und die drei umliegenden Hügel besetzt...
Wir haben von Nabi Nun aus die Aussicht genossen: Berglandschaft mit Olivenhainen, die Bauernhäuser von Yanoun; im Osten tief unter uns im Dunst der Mittagssonne das Jordantal und darüber mehr zu erahnen als zu sehen die Berge von Jordanien; in den Bergen nach Süden mehr palästinensische Dörfer und Städte und oben auf den Hügeln Siedlungen und Außenposten – die auch nach israelischem Recht illegal sind, aber von der Armee, die hier das Sagen hat, geduldet werden. Die schöne Landschaft und die hässlichen Zeichen der israelischen Landnahme.


Besuche bei Familien
Wir haben mehr Familien besucht. Wir sind überwältigt von der Freundlichkeit, von der Offenheit, mit der uns die Leute hier begegnen, von der Einfachheit des Lebens und der Stimmigkeit der alten palästinensischen Kultur. Wir sehen Kinder spielen, die Familien, die am Spätnachmittag mit der Mandel-Ernte des Tages vor dem Haus sitzen und das Fruchtfleisch von den Kernen trennen, während die Schafherden unten im Tal weiden. Wir hören von den 6 Generationen, die der Hausvater mühelos aufzählen kann, vom Großvater vom Großvater vom Großvater, der hier schon das zweite Haus gebaut hatte. Wir sitzen im dritten, modernen Haus und trinken süßen Tee mit Minze. Aber in jedem Haus hören wir die Geschichten vom Bruch im Leben der Familien, vom Einbrechen dieses Alptraums der Siedler, die sich über ihnen niedergelassen, die ihr Land weggenommen haben und die ihren Terror gegen die Dorfbewohner ausüben dürfen.
Das sind unsere Tage hier in Yanoun.

Was wir sehen
Und so wird es Morgen und wird Abend und die Woche ist noch nicht zu Ende.
Die Begebenheiten und Besuche wiederholen sich. Wir nehmen Einsicht in die Tagesabläufe von Arbeit und Ruhe, wie sie seit Generationen wiederholt werden. Wir erleben die neue Landnahme und den unterschwelligen Krieg der Siedler gegen die Bauern. Sie machen das Leben für die Dorfbewohner schier unerträglich. Und doch geht es weiter, dieses Leben, mit der Mühsal der Arbeit, den einfachen Freuden, dem Terror, vor dem sie nicht wirklich geschützt sind, und der Hoffnung, die nicht zu sehen ist, wie die Glut der Backöfen, die tagsüber unter der Asche verborgen ruht und jeden Morgen neu entfacht wird und das Brot für den Tag bäckt.
Colin und Paula packen ihre Sachen. Morgen reisen sie ab. Sie werden in Jerusalem Dienst machen und freie Tage haben, bevor sie wiederkommen und uns, Linda und mich ablösen werden. Morgen kommen auch Christian und Audrey, die die nächste Zeit mit uns leben und Wache halten werden. Mit ihnen werden wir dann abends sitzen, den Tag durchgehen und sagen: Wir sehen mit eigenen Augen, was hier vor sich geht, wir hören zu, wir verstehen, aber wir können es nicht fassen.

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