Wednesday, November 08, 2006

Berichte aus Jerusalem

Berichte aus Jerusalem

Das Kamel

Manchmal sieht man in Jerusalem ein Kamel, das den Touristen als Hintergrund für Fotografien dient, aber natürlich auch für einen Ritt durch die Straßen Jerusalems oder außerhalb der Mauern der Altstadt oder was weiß ich. Eigentlich habe ich das Kamel nur ein einziges Mal gesehen, aber es lebt hier irgendwo. Und Nini hat sofort, als ich von dem Kamel auf der Kreuzung erzählt habe, an das gleiche Kamel gedacht.

Es war am Abend des ersten Feiertages, mit dem der heilige Monat Ramadan endet. Tagsüber hatten wir junge Männer auf Pferden überall in der Stadt gesehen. Und am nächsten Tag war der Sportplatz hier oben auf dem Ölberg voll von Jugendlichen und etwa einem Dutzend verschieden alter Pferde, die offensichtlich für einige Runden auf dem Platz vermietet wurden. Wo sind die Pferde an all den anderen Tagen des Jahres? So haben wir uns gefragt und bis heute keine Antwort erhalten. Sie sind nach den Festtagen des Eid al Fittr in den Straßen aufgetaucht und danach wieder verschwunden. Auch das Kamel.

An dem Abend, von dem ich also kurz berichte, kam ich abends vor Sonnenuntergang oben an der Kreuzung an, an der wir immer aus dem Bus Nummer 75 aussteigen und die letzten hundert Meter zu Fuß gehen. Vor mir sah ich das Kamel. Ein Junge mit auffällig kurz geschnittenem schwarzem Haar saß zwischen den Höckern, das Kamel hatte seinen schönen Sattel und Kopfschmuck und lief mit diesem unverkennbaren Gesichtsausdruck der Überlegenheit auf der rechten Straßenseite, zu weit weg für ein Foto. Es dauerte keine 30 Sekunden, bis die Kreuzung voll war. Zwei Taxen, zwei Esel, ein PKW, ein Rappen, ein Schimmel und ein Bus näherten sich von vier Seiten der Kreuzung oder waren schon auf ihr. Die Szene war wie eine Fata Morgana, tauchte aus dem Nichts auf und verschwand wieder. Der Reiter auf dem Esel ritt über einen Zebrastreifen, das Kamel bog nach rechts ab, der Bus öffnete seine Tür mitten in seiner Linkskurve und entließ die müden Fahrgäste, die für weiteres Chaos auf der Kreuzung sorgten, weil sie sich zwischen den ungleichen Verkehrsteilnehmern durch schlängelten. Kein Hupen, kein Wiehern, kein Fluch oder lauter Ruf. Mit den normalen Geräuschen unserer kleinen dörflichen Einkaufsstraße löste sich der Spuk aus Tausendundeiner Nacht auf. Die Kreuzung war leer, drei, vier Leute standen an der Bushaltestelle, der Gemüsehändler brachte eine Kiste mit frischen Orangen auf die Straße und der Geruch von Diesel und Pferd war mehr Erinnerung als Wirklichkeit. Die Auflösung des kleinen Verkehrsstaus hatte wieder keine 30 Sekunden gedauert.

Am nächsten Tag hatte ich unten in dem Markt gegenüber vom Damaskustor zu tun. Ich war in dem kleinen Minimarkt, in dem wir manchmal einkaufen. Ich hatte beide Hände voll mit meinen kleinen Einkäufen von Buttermilch, Oliven und Brot. Ich stand an der Kasse, als ein Pferd in den Laden kam, also es muss ja sicherlich heißen: Als ein Reiter mit seinem Schimmel in den Laden kam. Es gab eine heftige Bewegung von der Kasse bis in den hintersten Winkel des Minimarktes. Aber niemand fiel um, niemand fluchte oder schrie auf. Der Reiter nahm eine Schachtel Zigaretten entgegen, das Pferd stieß bei seiner Rückwärtsbewegung an ein Regal, aber einige flinke Hände legten die herunter gefallenen Waren zurück in die Regale. Keine Aufregung. Das alles ging viel zu schnell für meine Kamera, die immerhin aus der Jackentasche geholt, in Betrieb gesetzt und in Position hätte gebracht werden müssen, dabei hatte ich gerade mal meine drei Einkäufe so verlegt, dass ich die Kamera greifen und herausholen konnte. Auch blieb diesmal ein starker Geruch nach Tier und Natur im Laden zurück. Und ich glaube, das Pferd hat über meinen Versuch, die Begegnung mit einem Foto festzuhalten, gelächelt.

Bevor ich das vergesse, das könnte ja wichtig sein für den fragenden Leser: Das Kamel war, wie Ibrahim mir Tage später erklärte, auf dem Nachhauseweg von seinem anstrengenden Tag mit Touristen. Es wohnt hier oben auf dem Ölberg.

Jerusalem kommt mir manchmal wie eine Theaterbühne vor, auf der alle, Schauspieler und Statisten ihr Spiel kennen und professionell spielen. Wie sonst passen die Anhänger der drei Religionen und die Geistlichen, Mönche, Pilger und von all der Heiligkeit Ergriffenen mit ihren mittelalterlichen Verkleidungen und dem schönen Kopfschmuck und diesem Gesichtsausdruck in die engen Straßen dieser Stadt?

Lach nur, lieber Leser!

07.11.2006
Gottfried Kraatz

1 comment:

Anonymous said...

Der Leser darf lachen - und ihm fällt ein Witz ein:

Kommt ein Pferd in den Blumenladen und fragt:

Mageritten?