Friday, November 17, 2006

Routine am Checkpoint

Berichte aus Jerusalem
Routine am Kontrollpunkt
Dienstag, 7. November, 6 Uhr. Es ist ein Routinebesuch. Aber einige Details nehme ich in den Wochenbericht auf.

Irgendwann scheint der Polizist, der die Drehtüren bedient, eingeschlafen zu sein. Die Leute, die aus Jerusalem kommen und nach Ramallah wollen, stehen ratlos vor der Drehtür, die normalerweise offen ist. Sie befinden sich jetzt im Käfig zwischen Eingangs- und Ausgangs-Drehtür. In ihrer Richtung, wenn sie Jerusalem verlassen, findet keine Kontrolle statt, sie schieben sich zweimal durch dieses kleine Karussell. Es werden immer mehr. Der Wachmann reagiert auf kein Winken mit den Armen. Kristina drückt auf den Klingelknopf. Der Polizist schreckt auf und drückt seinerseits auf einen Knopf. Wir stehen auf der Ramallah-Seite und glauben an einen Scherz: Die Drehtür zeigt auf unserer Seite grün. Auf der anderen Seite zeigt sie rot und ist geschlossen. Die Leute, die aus dem Terminal raus wollen, können immer noch nicht raus. Die Palästinenser auf unserer Seite erkennen die Situation. Sie gehen ruhig auf die Drehtür zu und gehen, einer nach dem anderen, durch. Sie gehen an den Kopf schüttelnden Gegen-Passanten vorbei und auf die andere Drehtür zu, die sie endgültig und ohne Kontrolle auf die Jerusalemer Seite entlassen würde. Diese Drehtür ist natürlich nicht zu, sie funktioniert, wie sie soll, ausschließlich in unsere Richtung. Da stehen sie nun alle, ein Haufen Frühaufsteher vor der Tür, die ihnen Jerusalem verschließt und ein Haufen Nachtarbeiter vor der Tür, die ihnen ihr Zuhause in Ramallah verschließt. Irgendeiner bemerkt den Fehler, und die Drehtür wird geschlossen. Jetzt geht auf diesem Abschnitt gar nichts mehr. Die Leute, die nach Hause, nach Ramallah wollen, wahrscheinlich von der Nachtschicht kommend, werden laut und fordern ihren Durchgang. Die anderen drücken sich still möglichst eng an die Wand, aber das hilft nichts. Hier sind so viele Kameras, ein Offizier bemerkt die Situation und brüllt in den Lautsprecher. Zögerlich und mit schlechtem Gewissen kommen sie zurück. Immer noch sind auch die Drehtüren, die die nach Jerusalem Einreisenden schleusen sollen, zu. Die Stimmung wird aggressiv. Neues Brüllen durch den Lautsprecher. Die Drehtüren, die die Leute aus dem Terminal entlassen, zeigen Grün und die Leute kämpfen sich durch. Nach drei Minuten ist der Durchgangsbereich für die aus Jerusalem Ausreisenden leer und die Mogler, die ihre Chance gesucht hatten, müssen sich wieder hinten in die Schlangen einreihen. Die von der Nachtschicht kommenden, die hier ohne Sicherheitskontrolle durch die Türen geschleust werden, sind in Richtung Ramallah aus dem Terminal gegangen. Aber vorn, neben der Drehtür, haben einige Schüler, fünf oder sechs, ihre Chance erkannt. Blitzschnell haben sie, die Aufregung nutzend, ihre Ranzen über das hohe Gitter geworfen und sind mit wenigen schnellen Kletterbewegungen hinüber gesprungen und raus gerannt. Eine Polizistin hat sie gesehen, sie musste aber auch erst durch die Sperre gelassen werden, ist ihrerseits losgerannt, das Gewehr fest an die Schulter gedrückt. Ihr Pferdeschwanz wippt mit den Laufschritten. Ich bin ebenfalls gerannt, nach hinten, wo der Parkplatz auf der Ramallah-Seite Einblick auf die andere, die Jerusalemer Seite, wo die Busse stehen, gewährt. Die Schüler sind nicht sichtbar, die Polizistin steht ratlos und gibt auf. Ich gehe zurück in den Terminal und berichte meinen Mit-Beobachtern vom Erfolg der Schüler. Es hätte ja eine sportliche Angelegenheit sein können und wir hätten gelacht. Aber hier ist alles Ernst und das Ding hätte böse enden können.

Unter denen, die ihre Chance in der verkehrten Drehtür gesucht hatten, war auch ein alter Mann. Er wurde begleitet von seinem Sohn, der ihn Schritt um Schritt führt. Der Mann ist offensichtlich krank und zeigt, als er schließlich am eigentlichen Schalter steht, außer dem Ausweis seinen Überweisungsschein vor. Aber der gilt nichts in Jerusalem. Er muss entweder dort einen Arzt finden, oder, wenn das erforderlich ist, eine Sondergenehmigung für eines der Ost-Jerusalemer Krankenhäuser. Er wird abgewiesen. Ich gucke auf die Uhr: Vor einer Stunde habe ich ihn kommen sehen. Er geht in einer anderen Warteschlange zum nächsten Schalter, wird abgewiesen. Ich verliere ihn aus den Augen. Zwei Stunden später, auf der Jerusalemer Seite, sehe ich ihn, von seinem Sohn geleitet, in einen Bus steigen. Er hat es offensichtlich mehrfach versucht – und Glück gehabt.

Die Warteschlange ist lang. Ich bemerke, dass einige Studenten sich zunächst einreihen, dann aber aufgeben und das Terminal verlassen. Ich gehe ihnen nach und finde heraus, dass sie in ein Taxi steigen. Sie versuchen es im nächsten Kontrollpunkt, in Ar Ram, sagen sie. Aber dort lässt die Grenzpolizei nur Leute durch, die auf einer Liste stehen, wende ich ein. Wir stehen drauf, sagen sie, wir sind Studenten. Wir müssen es probieren, hier dauert es zu lang. Ich überlege mir, wie viel Unkosten die Leute haben, wie viel Zeit sie verlieren, die hier jeden Tag diese Prozedur durchlaufen und dann evt. andere Kontrollpunkte anfahren, um Zeit zu sparen.

Ein Mann spricht uns an. Er ist Lehrer in Bethlehem. Er nimmt jeden Tag zuerst einen Bus von Ramallah bis zu diesem Kontrollpunkt. Auf der anderen Seite steigt er in einen Bus, der ihn zur Zentralen Busstation in Ost-Jerusalem bringt. Dort nimmt er einen Bus nach Bethlehem, zum Gilo-Kontrollpunkt, berichtige ich. Richtig, nur bis zum nächsten Kontrollpunkt. Auf der anderen Seite fahren keine Busse. Dort steigt er in ein Taxi, das teilt er sich mit Anderen, und fährt zu seiner Schule in Bethlehem. Ich rechne nach: Er zahlt hin und zurück zusammen jeden Tag über 30 Schekel, fast 6 Euro Fahrgeld. Nach der Zeit habe ich ihn gefragt: Wenn’s gut geht, zwei Stunden. Und wenn es schlecht läuft? Ich bin auch schon mal wieder nach Hause gegangen, weil es sich nicht mehr gelohnt hat, sagt er.

Noch auf der Ramallah-Seite bin ich ein Stück an der Mauer, die hier 12 Meter hoch ist, entlang gegangen. Hier stehen seit einer Woche eine Doppelreihe von 12 Fertig-Häuschen, sie bieten knapp 5.000 Briefkästen. Der verantwortliche Bauingenieur, den ich vor einer Woche gefragt hatte, wusste nur, dass hier ein Post-Dienst eingerichtet würde, für die Bewohner „auf dieser Seite“. Offensichtlich gibt es bisher keinen Postdienst in diesem Teil Ramallahs; künftig können die Bewohner hierher kommen und sich ihre Briefe abholen. Wird der Kontrollpunkt irgendwann zum Dienstleistungszentrum?

Auf der Jerusalem-Seite stehen wir noch eine Weile auf dem Straßenabschnitt und beobachten die Kontrolle, die dort vorgenommen wird. Auch hier werden die Autos, die Jerusalem verlassen, nicht, bzw. nur stichprobenweise kontrolliert. Mir fällt auf, dass ein kleines Team von zwei Soldaten damit befasst ist. Einer von ihnen führt einen Fotoapparat mit sich. Er nimmt Fotos von den Fahrern und ihren Papieren, sowie von den Nummernschildern der Autos, während sein Partner Sitze und Kofferraum untersucht. Was soll das, denke ich. Brian, mein Mit-Beobachter, holt seinen Fotoapparat mit der großen Vorsatzlinse heraus und nimmt die beiden Kontrolleure ins Visier. Die lachen zuerst und stellen sich in Pose, dann bedeuten sie uns, dass wir sie nicht fotografieren dürfen. Kristina geht prompt auf sie zu und beginnt ein Gespräch. Die beiden waren gut aufgelegt, aber die einzige brauchbare Antwort, die Kristina mitbringen konnte, war: Sie seinen so eine Art Militär-Journalisten.

Es ist ein warmer Tag. Es ist fast 8 Uhr. Wir fahren nachhause, in unser Quartier, wo wir frühstücken. Wir denken an die Arbeiter, die durch den Kontrollpunkt müssen, oder durch zwei davon. Sie kommen müde bei ihrer Arbeit an. Und dort sollen sie ihren Arbeitstag beginnen. Wenn der beendet ist, beginnt für sie der Heimweg – durch den Kontrollpunkt.

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