Wednesday, November 08, 2006

Berichte aus Jerusalem

Berichte aus Jerusalem

„When Arabs run riot the Army has to shoot“


Von Römischen Feldherrn haben wir Zitate überliefert, die kurz und knapp und gleichzeitig von geradezu poetischer Kraft sind. Das bekannteste ist das von Cäsar, der seinen Eroberungsfeldzug nach Gallien mit drei Worten zusammengefasst hat: Veni, vidi, vici – ich kam, ich sah, ich siegte.

Hier ist ein ähnlich kraftvoller Ausspruch eines Militärs, die Antwort des Verbindungsoffiziers der Zivilen Verwaltung für die OPT (Occupied PalestinianTerritories), Zeit 9.30 am Freitag, 13. Oktober, dem vorletzten Freitag im Fastenmonat Ramadan; auf die Frage von Roni Hammerman von der Organisation Machsom Watch, die am Qualandiya Kontrollpunkt auf der Jerusalemer Seite gestanden, die Schüsse von Lärm- und Tränengas-Granaten gehört hatte und die Menschen auf der Seite der Westbank hatte rennen sehen, die also ihr Telefon genommen und im Verbindungsbüro der Israelischen Armee angerufen und gefragt hatte, warum schießt ihr, warum jagt ihr die Menschen, die an diesem Feiertag nach Jerusalem zur Al-Aqsa Moschee wollen? Die Antwort, die sie erhielt, war militärisch kurz und knapp und kraftvoll in ihrer sprachlichen Prägnanz: „When Arabs run riot the Army has to shoot – wenn Araber randalieren, muss die Armee schießen“. Die Logik der Kriegsführung erlaubt diese Prägnanz, das militärische Überlegenheitsgefühl erlaubt die poetische Kraft.

Die Palästinenser, um nun von ihnen zu reden, waren, wie gesagt, auf dem Weg zum Mittagsgebet, das an diesem letzten Freitag im Fastenmonat Ramadan eine unvergleichlich höhere Wertigkeit besitzt, als an normalen Tagen. Einige von ihnen hatten fünf, sechs Stunden Anfahrt hinter sich, sie waren in Festkleidung und in erwartungsvoller Stimmung. Auf dem Hof zwischen Felsendom und Al-Aqsa Moschee versammeln sich an solchen Tagen bis zu einer halben Million Gläubige. Sie stehen dann dicht gedrängt, Schulter an Schulter und die gemeinsamen Bewegungen, das Erheben der Arme, das Sitzen auf den Unterschenkeln, das Berühren des Bodens mit der Stirn und das erneute aufrechte Stehen – das schließt jeden einzelnen Gläubigen in die große betende Gemeinde ein, macht die Gemeinschaft körperlich spürbar. Dafür fahren die Muslime in diesem Land weit, und immerhin ist die Al-Aqsa Moschee in Al Quds, Jerusalem, das dritte hochbedeutsame Heiligtum im Islam. Aber der Weg dorthin ist mühsam. Sie können nicht die direkte, schnelle Straße aus ihrem palästinensischen Dorf nach Jerusalem nehmen, weil die in das israelische Straßennetz integriert ist, die sie nicht benutzen dürfen. Sie müssen Umwege fahren und bezahlen. Dann kommen sie am Kontrollpunkt an, der das Palästinensergebiet von Ostjerusalem, das Israel annektiert hat, trennt. Und hier kriegen einige von ihnen Ärger.

Durch Radio und Zeitungen haben sie erfahren, dass an diesem Tag Männer über 45 und alle Frauen Zugang nach Jerusalem haben. Jetzt werden auch Männer über 45 zurück gewiesen, Familien haben Probleme mit ihren 12 oder 13-jährigen Söhnen, Ehefrauen finden sich auf der anderen Seite wieder, aber ohne Ehemann und ohne Geld. Kleine Dramen spielen sich ab, Enttäuschungen machen sich breit. Einer hämmert in seiner Wut gegen die Eisengitter. Daraufhin jagen die Beamten der Grenzpolizei alle Menschen aus dem „Terminal“, wie sie das Gebäude nennen, indem sie ihrerseits gegen die Gitter schlagen, aber mit ihren Knüppeln und mehrere von ihnen. Dazu brüllen sie Befehle in Hebräisch, „raus hier!“ oder so ähnlich. Es ist ein Höllenlärm. Die Leute fliehen nach draußen, aber dort stehen ja andere Menschen in dichten Reihen; keiner hat mitgekriegt, was da gelaufen war, die allgemeine Wut der Menge, die doch nur rechtzeitig zum Mittagsgebet nach Jerusalem will, steigt. Das Chaos ist perfekt.

Was ich jetzt erzähle, habe ich selbst gesehen, zu dieser Zeit war ich schon am Kontrollpunkt. Aber ich war nicht durch die Kontrolle durch gegangen, sondern musste von der Jerusalemer Seite, wo der Durchgang für Autos ganz und gar geschlossen war, durch ein hohes Eisengitter hindurch mit ansehen, was dort geschah. Soldaten, etwa ein Dutzend von ihnen, kamen von dem improvisierten Standort, den sie an diesem Tag aufgebaut hatten, gelaufen. Sie bauten sich zwischen Terminal und dem Parkplatz, auf dem die Menge jetzt stand, auf. Zu ihnen kamen zwei berittene Beamte der Grenzpolizei, alle schwer bewaffnet, mit schusssicheren Westen und Gewehren in der Hand. Das ist schon ein Anblick, der Angst und Aggression schürt. In diesem Augenblick begann der Muezzin vom Minarett des nahen Dorfes zu singen. Es war schon einige Zeit klar, dass niemand von denen, die hier am Kontrollpunkt standen, die Al-Aqsa Moschee erreichen würde. Aber jetzt war es offensichtlich.

Einige junge Männer, die offensichtlich durch die erste, aber nicht durch die zweite Kontrolle gekommen waren, bauten sich auf, in drei Reihen, etwa 40 oder 50 von ihnen. Schulter an Schulter stehend begannen sie das vorgeschriebene Gebet zu verrichten. Gesicht gegen Jerusalem mit der Altstadt, dem Felsendom und der Al-Aqsa Moschee gerichtet, das hieß: gegen das „Terminal“, das von einer Reihe schwer bewaffneter Soldaten bewacht wurde. Sie beugten sich nieder, sie führten die Hände über das Gesicht, sie berührten mit den Stirnen den Boden, sie verharrten in Ruhe und erhoben sich und wiederholten das. Es war still, viele Menschen, die zwar zum Mittagsgebet gehen wollten, sich aber nicht trauten, sich diesen Reihen der betenden Männer anzuschließen, standen still und sahen sich beunruhigt nach Fluchtwegen um. Zwischen dem „Terminal“ und dem Kreisverkehr, der die Straßen aus den Vorstädten und aus dem Kontrollpunkt mit dem Dorf Qualandiya verbindet, befindet sich Mauer, ein Stück zusätzlicher, vorgelagerter Mauer, vielleicht für die Verteidigung des „Terminals“ gebaut. Der Parkplatz, auf dem sich diese Szene abspielte, war also nur durch eine Lücke in der Maueranlage mit der palästinensischen Seite verbunden.

Hatten die Männer ihr Gebet beendet? Auf Kommando bedeuteten die Soldaten der Menge, zurück zu weichen, schossen in die Luft und warfen Tränengasgranaten. Und jagten die Menge durch die Mauerlücke hinaus, in Richtung Qualandiya. Die Mischung von Schüssen, Schreien und Kommandos, von rennenden Menschen und nachsetzenden schwer bewaffneten Polizisten oder Soldaten ist immer erregend. Aber hier konnte man auch die Pferde in die Menge reiten sehen, sie schnauben hören und sehen, wie entschlossen ihre Reiter in die Menge hielten.

Nun muss ich nachholen, dass an diesem Tag nicht nur die Durchfahrt für alle Fahrzeuge gesperrt war, was bedeutete, dass die Menschen ihre Autos parken und auf der anderen Seite in Busse steigen mussten. Sondern zusätzlich hatte die Armee eine Straßenblockade errichtet und bei einer ersten Kontrolle schon viele zurück gewiesen, hauptsächlich aber die Menge aufgehalten, so dass die Palästinenser, die nun vom Terminal vertrieben wurden, zum Teil schon durch zwei Vor-Kontrollen gegangen und nun doppelt frustriert waren. Es bedeutete aber auch, und das war, denke ich, für die israelische Armee und Polizei wichtig, dass einige hundert Meter entfernt eine weitere, viel größere Menge wartete und in Schach gehalten werden musste. Es überraschte mich also nicht, dass da, wo ich stand, geschützt durch das hohe Gitter, eine weitere Gruppe von Soldaten, teilweise Scharfschützen in Stellung gegangen waren. Sie entsicherten ihre Gewehre und zielten. Und tatsächlich konnte ich in der Richtung, in die sie zielten, weit hinter dem Kreisverkehr, kleine Jungs sehen, die begonnen hatten, Steine zu werfen. Wo waren sie hergekommen?

Die Soldaten rannten hinter der Menge her, ich konnte nicht mehr sehen, wohin. Aber sie kamen nach einigen Minuten wieder. Sie hatten offensichtlich zwei Jugendliche festgenommen, die sie jetzt, jeweils zu zweit mit eingeklemmten Armen laufend zu ihrem Posten brachten, einer war etwa 24, der andere 18 Jahre alt. Sie wurden in ein geschlossenes Fahrzeug geschoben und weggebracht, ich konnte nicht feststellen, wohin.

Nach ca. 15 Minuten, war der Spuk vorbei. Wir waren durch die Kontrolle auf die palästinensische Seite und durch die Mauerlücke gegangen. Die Taxifahrer und die Leute, die bei ihren Autos gestanden hatten, waren zurückgekehrt. Geruch von Tränengas lag leicht in der Luft, die Steine vom Vormittag, an dem die „Araber randaliert“ hatten, Patronen und Gummiteile der Tränengasgranaten und Lärmbomben, aber auch Pferdeäpfel lagen auf dem Boden des Parkplatzes. Dahinter, beim Kreisverkehr, bauten die ersten Brotverkäufer ihre Stände auf und nahmen von Jungs, die sie als Träger angeheuert hatten, die breiten Tragen mit den Pyramiden von Brotlaiben, die zum abendlichen Fastenbrechen im Ramadan gehören, entgegen. In der Straße, die ins Dorf führte, boten uns die Geschäftsleute einen Kaffee an.


Hinter uns, die Soldaten und Polizisten, zündeten sich Zigaretten an. Sie wirkten erleichtert.

So einfach könnte das Leben sein?

Zu diesem Zeitpunkt tippte Roni Hammerman von Machsom Watch, die nach dem kleinen Zwischenfall vom Vormittag nach Hause gegangen war, ihren Bericht in ihren Computer und hielt dort den kernigen Satz des Verbindungsoffiziers der israelischen Verteidigungskräfte fest; den Satz, der in seiner poetischen Dichte und in seiner strategischen Prägnanz die Vorfälle dieses vorletzten Freitags im Fastenmonat Ramadan beurteilt, aber die Kausalität umkehrt: „When Arabs run riot, the Army has to shoot!“

1 comment:

Anonymous said...

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