Friday, November 17, 2006

Frauen in Schwarz

Berichte aus Jerusalem: Berichte aus Jerusalem

Frauen in Schwarz
Es ist Freitag, mittags ein Uhr. Wir sind in West-Jerusalem. Wir sind drei Ökumenische Freiwillige, wir stehen mit den Frauen in Schwarz an dem kleinen Platz zwischen King-George-Straße und den Ramban und Ben-Maimon Boulevards. Hier stehen die Frauen an jedem Freitag, sie stehen hier für eine Stunde, schwarz gekleidet. Sie halten schwarze Schilder hoch, auf denen in drei Sprachen steht: Beendet die Besetzung. Manchmal stehen auch Männer bei ihnen. Heute stehe ich neben einem von ihnen. Er hilft mir, zu verstehen, was die Autofahrer, die an der Ampel stehen bleiben müssen, herüber rufen.

Ein Motorradfahrer spricht mit meinem Nachbarn, ich kann nicht herausfinden, ob er unfreundlich ist; die beiden scheinen sich zu kennen. David, mein Nachbar, erklärt: Mit diesem Mann hat er öfter zu tun gehabt, er pflegte die Demonstranten heftig zu beschimpfen. Einmal hat er ihn aber zufällig bei einer mehr privaten Gelegenheit getroffen. Zunächst hatte der Mann ihn wieder Vaterlandsverräter als beschimpft, hat sich aber dann auf eine Diskussion eingelassen. Jetzt kommt er auch regelmäßig vorbei, es ist genau die Zeit, wo er hier auf Weg nach Hause ist, und fühlt sich verpflichtet, gesittet zu reden. Steht ihr immer noch hier, fragt er. Und: Wie viel Land wollt ihr ihnen (den Palästinensern) denn geben? Wenn ihr ihnen ein bisschen zugesteht, wollen sie das ganze…

Ein Taxifahrer fährt vor, die Ampel wird aber grün, er ruft etwas, fährt aber weiter. Es hat sich freundlich angehört. Ja, sagt David und lacht. Er ist ein Araber, jeder arabische Taxifahrer, der vorbei kommt, grüßt freundlich oder winkt uns zumindest zu.

Ein Autofahrer lässt sein Fenster runter und beginnt eine unfreundliche Unterhaltung. Es geht um die Grenzen. Welche Grenzen wollt ihr ihnen (den Palästinensern) geben? Die Grenzen von 48, antwortet ihm David. Warum nicht die von 67, ruft der Taxifahrer, was macht das für einen Unterschied, 19 Jahre? Die Ampel wird grün, kopfschüttelnd fährt er los.

Ein Polizeibeamter kommt dicht heran, macht einige Notizen und geht weiter. Keiner beachtet ihn.

David sieht meinen Notizblock mit dem südafrikanischen Aufkleber. Er will wissen, was ich mit Südafrika zu tun habe. Dann erzählt er mir. David ist im Alter von 15 Jahren nach Israel gekommen. Das war 1977, einige Wochen, nachdem Steve Biko umgebracht worden ist. Seine Eltern haben ihn hierher geschickt, damit er in Südafrika nicht zum Militärdienst eingezogen wird. Seine Eltern ihrerseits waren 1936 aus Deutschland ausgewandert. Dort waren sie als Juden bedroht. Irgendwann ist ihnen klar geworden, dass sie in Südafrika Nutznießer eines rassistischen Systems waren. Sie wollten nicht, dass der Sohn als Weißer gegen die Schwarzen kämpfen muss. David hat seine Jugend weit weg von seinen Eltern, in Israel verbracht, ist zur Schule gegangen, hat studiert – und sollte zum Militärdienst eingezogen werden. Er hat den Dienst verweigert und ist dafür ins Gefängnis gegangen. Jetzt stellt er sich manchmal zu den Frauen in Schwarz und unterstützt ihre Forderung nach einem Ende der israelischen Besatzung der Palästinenser-Gebiete.

Ava, zu meiner Rechten, spricht zu mir über Freundinnen in Deutschland. Sie hat sie erst vergangenes Jahr wieder besucht. Ihre Eltern sind, ebenfalls in den dreißiger Jahren, aus Deutschland hierher gekommen. Sie haben sich nicht vorstellen können, dass ihre Tochter hier eines Tages im Protest gegen die Gewaltanwendung gegen Palästinenser stehen und den Unwillen der vorbeifahrenden Israelis erregen würde, sagt Ava lachend. Ava ist älter, als ihre Eltern damals waren, als sie nach Israel gekommen sind. Ich frage sie nach ihren Gefühlen gegenüber Deutschen und in Deutschland, mit all den Erinnerungen an die Familienmitglieder, die den Holocaust nicht überlebt haben. Sie erzählt mir, dass schon ihr Vater seinen Frieden mit den Deutschen gefunden und mit einigen Deutschen Freundschaft geschlossen habe.

Uri, ein junger Mann, steht unterhalb der Mauer, auf der wir stehen und die schwarzen Schilder zeigen. Er ist hier, um seine Mutter zu unterstützen. Er war als Militärdienstverweigerer zwei Jahre lang im Militärgefängnis. Ich spreche ihn auf die Demonstration von Kriegsdienstverweigerern vor einigen Tagen an, bei der ich gewesen war und unter roten Fahnen gestanden hatte. Die Kommunistische Partei, erklärt er mir, sei die einzige, die von jeher gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete gewesen sei. Es sei eine kleine Partei, die dem anti-zionistischen Block angehöre. Uri gehört dieser Partei nicht an, aber er findet, ich sollte eine gute Meinung von ihr haben.

Die eine Stunde der Demonstration ist um. Die Frauen verabschieden sich voneinander und von uns. Sie sagen: Also dann, bis nächste Woche!

1 comment:

Anonymous said...

Danke sehr an den Autor.

Gruss Elisa